Blog Beitrag

Russlanddeutsche als Adressat:innen rechtspopulistischer Propaganda online – Interview mit o[s]tklick

„o[s]tklick – demokratisch antworten“ unterstützt deutsche (Spät-)Aussiedler:innen aus Russland und anderen postsowjetischen Staaten, ihre demokratischen Wertvorstellungen in digitalen Netzwerken sichtbarer zu machen und sich gegen populistische Instrumentalisierung zu engagieren, eigene Positionen in politische Debatten einzubringen und die Vielfalt der Community zu erkunden.

Wir haben Projektmitarbeiterin Paula Mangold zu rechtspopulistischer Propaganda, die sich in Sozialen Medien an russischsprachige Menschen richtet, interviewt.

Perspek’tif:a: Bei Rechtsextremismus wurde lange Zeit ausschließlich über mehrheitsdeutschen Rechtsextremismus gesprochen. Wurde das Thema “Rechtsextremismus in migrantischen Communities” zu lange vernachlässigt?

Paula Mangold: Rechtsextreme Gewalt geht in Deutschland überwiegend von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aus. Somit ist es nachvollziehbar und richtig, dass die Thematik mehrheitsdeutscher Rechtsextremismus auch in der öffentlichen Debatte einen wichtigen Platz einnimmt. Dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, dass sich Ungleichwertigkeitsvorstellungen quer durch die Gesellschaft ziehen. Wie etwa die Mittestudien der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen, schützt ein Migrationshintergrund keineswegs davor, bestimmte menschenfeindliche Einstellungen zu vertreten. Auch gibt es rechtsextreme Organisationen wie die Grauen Wölfe, die ausschließlich in migrantischen Communities aktiv sind. Darüber hinaus gibt es auch rechte Akteure aus der Mehrheitsgesellschaft, etwa die AfD, die gezielt bestimmte Migrant:innengruppen ansprechen, so etwa Russlanddeutsche und Spätaussiedler. Das sollte man benennen und in seinen Besonderheiten auch beleuchten. Denn auch wenn dem Rechtsextremismus die gleichen menschenverachtenden Einstellungen zugrunde liegen, sind die Hintergründe und Ausprägungen teilweise unterschiedlich.

Perspek’tif:a: Sie haben rechtspopulistische Propaganda, die sich in Sozialen Medien an russischsprachige Menschen richtet, untersucht. Was zeichnet diese aus?

Paula Mangold: Wir haben beobachtet, dass in Sozialen Medien, aber auch in Messengern wie Telegram, viel Content kursiert, der sich an unsere Zielgruppe – Russlanddeutsche bzw. (Spät-) Aussiedler:innen – richtet. Und dass diese Inhalte zu einem sehr hohen Anteil aus rechtspopulistischen bis rechtsextremen Quellen stammen und häufig menschenverachtende Botschaften transportieren. Zum einen lässt sich das damit erklären, dass rechtsextreme und ‑populistische Parteien und Gruppen die Sozialen Medien gut für sich nutzen können, da ihre hetzenden Inhalte von den Algorithmen befeuert werden. Sie arbeiten mit einfachen Antworten, Stereotypen und reißerischen Überschriften.

Wir haben dann aber auch festgestellt, dass rechte Akteure fast die Einzigen sind, die die Zielgruppe Russlanddeutsche überhaupt adressieren. Sie schaffen es auf sehr geschickte Weise, an die Lebenswirklichkeit der Menschen anzuknüpfen. Sie sprechen Probleme und Erfahrungen der Gruppe an, um dann ihre rechtspopulistische bzw. -extreme Politik als „Lösung“ anzubieten. Kaum eine der Parteien aus dem demokratischen Spektrum richtet ihre Ansprache in den Sozialen Medien so gezielt an diese Zielgruppe und thematisiert deren Lebensrealitäten in solch einem Umfang. In unseren Untersuchungen haben uns in erster Linie die Argumentationsstrategien und -taktiken interessiert, daraus lassen sich allerdings noch keine Aussagen über die Wirksamkeit dieser Vereinnahmungsversuche ableiten.

Perspek’tif:a: Spielen Diskriminierungserfahrungen, die russlanddeutsche (Spät-) Aussiedler:innen erfahren müssen, in der Ansprache eine Rolle?

Paula Mangold: Auf jeden Fall. Ganz wichtig in der Ansprache ist das Motiv „zwischen den Stühlen“ zu sitzen. Thematisiert werden zum einen die Stigmatisierungen als Deutsche in der Sowjetunion, die Verfolgung und Deportationen unter Stalin. Zum anderen wird aber auch an Diskriminierungserfahrungen in Deutschland angeknüpft, wo sie häufig als „Russen“ gelesen werden. Indem sie in dem von uns untersuchten Material z.B. als „Volksdeutsche“ bezeichnet werden – ein Begriff aus dem Nationalsozialismus – wird ihnen bestätigt, dass sie „echte“ Deutsche seien.

Auf der anderen Seite wird aber auch die Migrationserfahrung der Russlanddeutschen thematisiert, und die damit verbundenen Beschwerlichkeiten und Diskriminierungen genutzt, um die Russlanddeutschen als „bessere Migrant:innen“ zu kategorisieren. Migrant:innen sollen so gegeneinander ausgespielt werden.

Perspek’tif:a: Inwieweit ist die Position rechtsextremer und rechtspopulistischer Gruppierungen zu Russland relevant?

Paula Mangold: Das autoritär geführte Russland unter Putin ist generell für die extreme Rechte in Deutschland eine wichtige Bezugsgröße. Viele Russlanddeutsche der ersten Auswanderergeneration pflegen noch persönliche Beziehungen nach Russland (bzw. in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion), sind dort sozialisiert oder sprechen Russisch. Die Verbindung der Russlanddeutschen mit Russland wird von rechtsextremen und -populistischen Parteien und Gruppen genutzt, um ihre politischen Forderungen z.B. nach autoritärer Führung zu platzieren.

Perspek’tif:a: Können Sie Schlüsse aus Ihrer Forschung (und allgemein Ihrem Projekt) für die Bildungs- und Jugendarbeit ziehen? Bedarf es spezieller Ansprachen, um Menschen aus entsprechenden Communities zu erreichen?

Paula Mangold: Man sollte zunächst im Auge behalten, dass die Vereinnahmungsversuche durch rechte Gruppen nicht allzu erfolgreich sind. Untersuchungen des Wissenschaftlers Jannis Panagiotidis[1] haben gezeigt: Knapp 60 % der Russlanddeutschen wählen konservativ bzw. „rechts der Mitte“, das bedeutet aber auch, 40 % wählen eher links, hier v.a. die Linkspartei. Die mediale Berichterstattung der letzten Jahre suggerierte, die AfD habe die Union als „Partei der Russlanddeutschen“ abgelöst. Es zeigt sich zwar, dass die Wahlerfolge der AfD unter Russlanddeutschen höher als in der Mehrheitsgesellschaft sind, jedoch nur geringfügig (ca. 15-20 % im Vergleich zu 12,6 %). Der Erfolg der AfD unter Russlanddeutschen lässt sich zudem methodisch nicht zweifelsfrei auf die Herkunft zurückführen, möglichweise spielen hier auch sozioökonomische Faktoren eine größere Rolle.

Viel bedeutender ist, dass der Anteil der Nichtwähler:innen relativ hoch ist. Dazu kommt, dass bei einem Teil der Gruppe Medienkompetenzen fehlen, um Desinformation, Falschnachrichten und Verschwörungserzählungen zu erkennen. Bei Aufklärungsangeboten in diesem Bereich bedarf es einer spezifischeren, ggf. auch mehrsprachigen Ansprache.

Es hat sich gezeigt, dass es zu wenig Angebote für die Zielgruppe gibt, die in Sozialen Medien mit pro-demokratischen und pluralen Positionen an die Lebenswirklichkeiten und Erfahrungen der (Spät-) Aussiedler:innen anknüpfen. Wir müssen deutlich machen: Die Antworten von Rechts sind nicht zwangsläufig die einzigen, die man auf die Probleme der Zielgruppe geben kann. Wir müssen aber andere Antworten anbieten! Wir müssen klarmachen: Mit euren Erfahrungen seid ihr Teil der deutschen Gesellschaft, ihr werdet gesehen und habt die Möglichkeit, diese Gesellschaft auch mitzugestalten. Man darf dabei aber nicht vergessen, wie heterogen die russlanddeutsche Community ist. Mit unserem Projekt o[s]tklick gehen wir daher auf die großen Fragen der Community ein und geben auf der anderen Seite aber auch einer Vielzahl an demokratischen Sichtweisen und persönlichen, sehr unterschiedlichen und teilweise auch widersprüchlichen Geschichten eine Plattform. Dafür arbeiten wir auch mit vielen verschiedenen Personen und Organisationen aus der russlanddeutschen Community zusammen, wie etwa dem Podcast x3, der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR), der Interessensgemeinschaft der Deutschen aus Russland Hessen (IDRH) oder Quarteera, eine Organisation russischsprachiger queerer Menschen in Deutschland. Neben demokratiefördernden und präventiven Maßnahmen auch bestehende Beratungsangebote der Distanzierungsarbeit für nicht-mehrheitsdeutschen Rechtsextremismus zu öffnen und spezielle Anspracheformate für diese Zielgruppe zu testen ist sicherlich ebenfalls sinnvoll. Denn wie bereits dargelegt, sind die Motive für die Hinwendung zu antidemokratischem Gedankengut von denen Angehöriger der Mehrheitsgesellschaft mitunter verschieden.


[1] https://www.ost-klick.de/wahlverhalten/